1. Lesung am 5. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr C:
Jes 6,1-2a. 3-8
Lesung aus dem Buch Jesaja.
Im Todesjahr des Königs Usija sah ich den Herrn.
Er saß auf einem hohen und erhabenen Thron.
Der Saum seines Gewandes füllte den Tempel aus.
Serafim standen über ihm. Jeder hatte sechs Flügel:
Mit zwei Flügeln bedeckten sie ihr Gesicht,
mit zwei bedeckten sie ihre Füße,
und mit zwei flogen sie.
Sie riefen einander zu: Heilig, heilig, heilig ist der Herr der Heere.
Von seiner Herrlichkeit ist die ganze Erde erfüllt.
Die Türschwellen bebten bei ihrem lauten Ruf,
und der Tempel füllte sich mit Rauch.
Da sagte ich: Weh mir, ich bin verloren.
Denn ich bin ein Mann mit unreinen Lippen
und lebe mitten in einem Volk mit unreinen Lippen,
und meine Augen haben den König, den Herrn der Heere, gesehen.
Da flog einer der Serafim zu mir;
er trug in seiner Hand eine glühende Kohle,
die er mit einer Zange vom Altar genommen hatte.
Er berührte damit meinen Mund und sagte:
Das hier hat deine Lippen berührt:
Deine Schuld ist getilgt. deine Sünde gesühnt.
Danach hörte ich die Stimme des Herrn, der sagte:
Wen soll ich senden? Wer wird für uns gehen?
Ich antwortete: Hier bin ich, sende mich!
Jesaja wirkte in Jerusalem fast 40 Jahre als Prophet, von 735 bis 697 v. Chr. und gilt als der bekannteste der Propheten. Das Buch Jesaja allerdings ist entstanden aus vielfältige Kompositionen und hat eine reiche Entwicklungsgeschichte. Der liturgische Text dieses Sonntags gehört zur sogenannten "Denkschrift" (6,1-9,5) und ist ein Einschub in eine erste Sammlung der Texte über das Wirken und Verkünden des Jesaja. Jes 6,1-13 bildet eine literarische Einheit, von der allerdings für den Gottesdienst nur der erste Teil vorgelesen wird (Verse 1-8): Berufung und Sendungsauftrag (in Korrespondenz zum Evangelium). Der Inhalt der Botschaft des Propheten - Gericht Gottes über das Volk, Exil und Rettung des "heiligen Restes" sind für das Verkündigungsthema des Sonntags wohl nicht von Bedeutung. Der Text hält sich an das Schema einer Berufungsgeschichte: Begegnung mit der Herrlichkeit Gottes, Erschrecken und Erkenntnis der Sündhaftigkeit, Reinigung und Erklärung, Zustimmung und Sendung. Vers 1a: Die Datierung "Todesjahr des Usija" weist hin auf das Jahr 735 v. Chr. Der Tod dieses Königs (auch Asarja genannt) ist der Anfang vom Ende des Staates. Politische Wirren um die Thronnachfolge führen zum Untergang von Gerechtigkeit und sozialem Frieden im Volk, die Weltmacht Assur bedrängt Israel. Vers 1b: In einer Vision sieht sich Jesaja in den himmlischen Thronrat versetzt. In dieser Theophanie wird Gott selbst nicht beschrieben, aber Attribute seiner Gegenwart. Vers 2a: Es ist ungewöhnlich, dass Serafim das Auftreten Gottes begleiten, meist werden Kerubim genannt. Das hebräische "srf" ist abgeleitet von "brennen - leuchten". Die Lichtwesen der Serafim sind geflügelte Schlangenwesen, (im liturgischen Text des Sonntags wird der folgende Halbvers 2b ausgelassen - warum?) sie verhüllen die Herrlichkeit Gottes, um sie hervorzuheben. Vers 3: Das "Trishagion" (dreimal heilig), das sie anstimmen, gehört zum Tempelkult in Jerusalem. Vers 4: Erdbeben und "Rauch" gehören zu Gotteserscheinungen (vgl. Ex 19,16) Vers 5: Die Übersetzung lässt an Stelle von "...ich bin verloren, denn..." eine andere Formulierung zu: "...ich muss schweigen, denn...". Jesaja erfährt sich und das Volk als schuldig vor Gott, denn er hat nicht rechtzeitig geredet (vgl. 2 Chr 26,16ff) und das Volk hat die kultische Reinheit verloren, weil es die Armen verachtet und Gott nicht ehrt ("unreine Lippen"). Verse 6f: Reinigung (welche, wie durch Feuer und Glut der Liebe sein kann) und Gnade führen die Serafim mit Kohlen durch, die zum Rauchopfer des Tempelkultes gehören. Es ist nicht Reinigung einer Einzelsünde, sondern der Gesamthaltung. Vers 8: Der Reinigung folgt die Sendung und die Annahme der Sendung, die Zustimmung zum Auftrag. Der Prophet ist legitimiert für seinen Dienst.
Rudolf Buschmann (2001)