1. Lesung vom 19. Sonntag im Jahreskreis:
Weish 18,6-9
Lesung aus dem Buch der Weisheit:
Die Nacht der Befreiung wurde unseren Vätern vorher angekündigt;
denn sie sollten zuversichtlich sein
und sicher wissen,
welchen eidlichen Zusagen sie vertrauen konnten.
So erwartete dein Volk
die Rettung der Gerechten und den Untergang der Feinde.
Während du die Gegner straftest,
hast du uns zu dir gerufen und verherrlicht.
Denn im Verborgenen
feierten die frommen Söhne der Guten ihr Opferfest;
sie verpflichteten sich einmütig auf das göttliche Gesetz,
daß die Heiligen in gleicher Weise Güter wie Gefahren teilen sollten,
und sangen schon im voraus die Loblieder der Väter.
Das Buch der Weisheit gehört zu den Schriften, die in der katholischen Kirche zum Schriftkanon, in der Lutherbibel aber zu den sogenannten Apokryphen gezählt werden: Bücher die nach Martin Luther "der Heiligen Schrift nicht gleichgehalten, und doch nützlich und gut zu lesen sind". Das Buch ist das jüngste im Alten Testament und wurde vermutlich Ende des 2. bzw. Anfang des 1. Jhdt. v. Chr. im ägyptischen Alexandrien geschrieben. Inhalt und Stil deuten hin auf einen gebildeten, griechisch sprechenden Diasporajuden als Verfasser. Die vorliegende Perikope ist dem dritten Teil des Buches entnommen, in dem an die Geschichte Israels, speziell an den Exodus erinnert wird. Bedrängnisse in der Vergangenheit, die bestanden werden konnten, können in der Not der Gegenwart trösten. Die Erinnerung an die Befreiung aus Not und Elend kann auch in der Gegenwart Hoffnung schenken. Eine Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart schafft zudem unter den Zuhörern eine Identität. Sie stärkt den Glauben an Gott, der der Herr über alle und alles ist. Im Text ist das Stilmittel der "Synkrisis" (Vergleich) verwendet worden, das in der griechischen Literatur bekannt ist. Den Plagen an den Ägyptern werden die Wohltaten am Volk Israel gegenübergestellt. Mit "der Nacht der Befreiung" wird an den Exodus erinnert. Interessant an der Schilderung des Paschamahles ist die Bemerkung, dass Loblieder gesungen wurden. Lieder und Hymnen werden in der Exodus-Erzählung selber nicht erwähnt. Es handelt sich wohl um einen späteren liturgischen Brauch, der dann in die Vergangenheit zurückverlegt wurde. Dieser Brauch wird auch an anderen Stellen der Hl. Schrift erwähnt.
Das Buch der Weisheit stammt aus der Zeit 80-30 v. Chr. und gehört somit zu den jüngsten Büchern des Alten Testamentes. Entstehungsraum ist vermutlich der jüdische Kulturraum Ägyptens in Alexandria, wo orthodoxe von häretischen Juden verfolgt wurden. Der Autor lebte als akademischer Jude mit griechischer Bildung. Nach Weish 9,7 schreibt er aus der Sicht des Königs Salomo. Gegenstand der Auslegungen ist die Weisheit des Menschen, konkret des Salomo, der aber mit Namen nie genannt wird. Das Buch ist im Kontext des Neuen Testament vor allem von Paulus gelesen und verwendet worden. Die vorliegende Perikope gehört zum dritten Teil des Buches, der als ein großes Gebet gestaltet ist. Dort findet sich in sieben gegenüber stellenden Darstellungen (11,5 - 19,27) das strafende und rettende Eingreifen Gottes in die Geschichte seine Volkes.
In Weish 16,1 - 19,27 kommt der Verfasser des Weisheitsbuches zu seinem Grundthema und schildert das Walten des Herrn in der Geschichte Israels. Die Nacht der Befreiung - der Tod der Erstgeborenen der Ägypter (vgl. Ex 11,4-7) - wurde den Israeliten vorher angekündigt, damit sie den Mut nicht sinken ließen. So wird auch uns das Wiederkommen des Herrn angekündigt. Wir sollen an diese Rettung wie unsere Väter glauben und uns für den Tag, an dem der Herr kommt, vorbereiten. Im Unterschied zur Schilderung im Buch Exodus erfolgt diese Feier im Verborgenen und es werden vorher Loblieder der Väter, also Psalmen, gesungen. Diese Änderungen scheinen auf die Praxis und Gewohnheit des Leserkreises, nämlich der Juden in der ägyptischen Diaspora, Rücksicht zu nehmen, für welche diese Schrift als Trost in der Verfolgung geschrieben wurde.
Christiane Herholz (2004)
Martin Stewen (2001)
Lopez Weißmann (1998)