Der Dieb in der Nacht
Vor ein paar Tagen las ich die Überschrift in der Zeitung: „Diebe auf dem Weihnachtsmarkt". Schade, dass auch dieser Ort gezeichnet ist. Schnell ist die Beschaulichkeit hin, Glühweinwürze und Kerzenlicht nur Schein – dahinter harte Fakten und harte Bandagen. Wie auch sonst im Leben. Wer etwas anderes sucht, könnte schnell zum Träumer werden. Zugegeben: Vor Weihnachten ist die Neigung groß – die Enttäuschung dann auch.
Diebe melden sich nicht an. Sie kommen plötzlich. Ihre Stärke ist – die Überraschung. Und schnell verschwinden sie auch wieder. Sie möchten nicht gesehen werden. Die Dunkelheit ist ihnen gerade recht. Und wenn sie nicht gerade eine Wohnung ausnehmen, lieben sie das Gedränge. Wenn es nicht so ernst wäre: sie sind Meister ihres Fachs. Gerissen, geschickt, voller Tricks.
Ich stocke. Will ich wirklich über Diebe räsonieren? Ich denke an die Diebe in meiner Wohnung. An einem Adventssonntag. Sie haben die Tür von innen mit einer Kommode zugestellt. Als ich dann schließlich drinnen war, waren sie draußen. Und weg über alle Berge. Dass ich sie wohl gestört habe, war nur ein kleiner Trost. Mir ist unheimlich: Es steht zwar im Evangelium, dass der Herr kommt wie ein Dieb in der Nacht – aber die Vorstellung gefällt mir nicht. Unser Herr – wie ein Dieb…?!
Schneller, aufmerksamer und gewandter als ein Dieb
Aber kaum, dass ich mein Unbehagen loswerde, kommt mir Matthäus schon in die Quere. Nein, ich solle doch noch mal nachlesen:
Seid also wachsam! Denn ihr wisst nicht, an welchem Tag euer Herr kommt.
Bedenkt: Wenn der Herr des Hauses wüsste, zu welcher Stunde in der Nacht der Dieb kommt, würde er wach bleiben und nicht zulassen, dass man in sein Haus einbricht.
Darum haltet auch ihr euch bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, in der ihr es nicht erwartet.
Das ist eine Verheißung: Der Herr kommt. Nur: wann und wie – so gern ich es wüsste, in meinen Kalender kann ich es nicht schreiben. Aber eine Spur legt das Evangelium dann doch. Gehen wir ihr doch nach!
Sind Diebe gerissen, geschickt, voller Tricks, muss man schneller als sie sein, aufmerksamer, gewandter. Das Bild von dem Hausherrn, der „dran" bleibt, ist genau richtig: ihn legt man so schnell nicht rein. Er kennt das Leben, die Menschen – er kennt die Gefährdungen, die Abgründe. Er weiß auch die Nacht zu nehmen. Er ist wachsam. Nein, wachsam heißt nicht, nicht mehr schlafen zu können, das Haus nicht mehr zu verlassen, keine Ruhe mehr zu haben – das wäre die Tyrannei in Vollendung. Ein Gefängnis. Nur eins nichts: ein Modell für das Leben. Ein Modell für das Leben ist nachahmenswert, verlockend und liebevoll. Ich merke, wie mir bei dem Gedanken eine diebische Freude überkommt. Das Evangelium hat es schon in sich!
Die Kunst des Wartens
Sie sind natürlich längst dahinter gekommen: es ist ein Gleichnis. Das Gleichnis vom Dieb. Dass so einem ein Gleichnis gewidmet wird! Und das im Evangelium! Was mir befremdlich vorkommt, ist für Matthäus nur ein Geheimnis. Das Geheimnis, wie man das Leben aufschließt. Und der Schlüssel heißt: Wachsamkeit.
Können wir auf Jesus warten? So warten, wie es das Evangelium erzählt? Advent heißt: Ankunft. Aber so sehr unsere Blicke auf den 24.12. gerichtet sind – die Ahnung, dass mit Weihnachten Gottes Geschichte mit uns Menschen noch nicht abgeschlossen ist, wird uns jeden Tag neu beschleichen müssen. Denn die Wachsamkeit, die er für sich einfordert – schenkt er Menschen, teilt sie sozusagen – und stellt uns sein Kommen vor Augen. Es leuchtet dann auf, was Wachsamkeit heißt: aufmerksam, behutsam leben – mit allen Sinnen wach, hellwach sein – Menschen behüten.
Wir werden jetzt auch von Menschen reden müssen. Von Menschen, die aus ihrem Leben herausgerissen werden, mit ihrem Leben nicht fertig werden oder überhaupt keine Chance haben, sich auf ihr Leben einzulassen.
Es sind ja nur Andeutungen. Aber wir sehen Menschen vor uns, die krank werden und Lebenspläne über Nacht aufgeben müssen. Wir denken an Menschen, die schon früh aus dem Berufsleben freigesetzt werden – wie das heute so genannt wird. Uns kommen aber auch Menschen in den Sinn, die mit den Anforderungen nicht zu recht kommen, auf alles aggressiv reagieren und sich nur unter ihres gleichen wohl fühlen. Wir hören von Eltern, die ihr Kind verhungern lassen, weil sie ihrer Verantwortung nicht gewachsen sind. Und was wir in unserer eigenen Umgebung nicht wahrnehmen, bringen uns Zeitungsartikel und Fernsehbilder nah: Wir sehen dann Kinder vor uns, die, bevor sie erwachsen werden, schon mit dem Leben abschließen müssen.
Die Wachsamkeit, die uns das Evangelium nahe bringt, fängt da an, wo wir nicht mehr weggucken, uns hinter eigenen Problemen verstecken oder uns mit dem Satz beruhigen, wir könnten doch nichts tun.
Wach sein heißt: für Geschichten, die Menschen erzählen können, aufmerksam werden, die Ohren zu öffnen, sie behutsam anzunehmen. Diese Kunst fällt nicht vom Himmel. Sie will geübt werden. Im Gespräch. Im Schweigen. Im Aushalten. Aber auch im Protest, im Eintreten für andere. Ja, im Mut, eine fremde Geschichte zur eigenen zu machen.
Komm, Herr
In der Adventszeit singen wir: Es kommt ein Schiff geladen. Ein wunderschönes Bild: ein Schiff kommt, hoch beladen. Mit Gottes Sohn, mit Gottes Wort. Es bringt uns Zukunft – Zukunft heißt: Er, Gott, kommt auf uns zu. Aber dann vertraut er uns Menschen an, die ihre Hoffnungen verloren haben, die auch auf nichts mehr warten. Die abgeschlossen haben. Die sich abgeschlossen haben. Verbittert, vielleicht sogar zynisch, zerrieben.
Dass ich bei einem Dieb in die Schule gehen muss, bringt auch nur das Evangelium fertig. Wer über das Leben eines Menschen wacht, verpasst ihn nicht – den Herrn. Es ist ein gelungenes Gleichnis: schneller, aufmerksamer und gewandter zu sein als ein Dieb. Komm, Herr!
Alfons Jestl (1998)