Chrónos und Kairós
Heute Nacht hat ein neues Jahr Einzug gehalten. Niemand, auch wenn er es gewollt hätte, hätte verhindern können, dass es kommt. Es ist einfach da. Es gibt Schriftsteller, die unter einem fremden Namen, unter einem »Pseudonym« veröffentlichen. Ich habe den Eindruck: Die Zeit ist ein Pseudonym für Gott. Wie die Zeit ist auch Gott einfach da: ungefragt. Es liegt an uns, in der Sprache der Zeit, in den Zeitläuften, den Kairós, den günstigen Augenblick, die Gottesgabe zu entziffern.
Dazu eine sprachkundliche Bemerkung: Für das Wort »Zeit« gibt es im Griechischen zwei Worte: Chrónos und Kairós. Chrónos ist die gleichmäßig fortlaufende Zeit, die man mit der Uhr messen und in Stunden, Tage und Jahre einteilen kann. Kairós ist die günstige Zeit. In der Antike wird der Kairós dargestellt mit einem Haarschopf vorne und am Hinterkopf kahl: Du musst ihn ergreifen, wenn er kommt! Wenn er vorbei ist, kannst du ihn nicht mehr fassen.
Im Chrónos, im Ablauf von Jahr und Tag, versteckt sich der Kairós. Er kann jeden Augenblick aus dem Chrónos heraustreten. In jeder Zeit kann sich das Jetzt zeigen. Wie mit dem Chrónos ist es mit Gott: er kann jederzeit aus der Zeit heraustreten und uns begegnen.
Gott ist wie ein Schriftsteller
Gott ist – um im Bild des Schriftstellers zu bleiben, der unter einem Pseudonym veröffentlicht – ein Schriftsteller eigener Art. Seine Texte entstehen in enger Zusammenarbeit mit den Adressaten, das heißt mit uns. Gott möchte bei der Erstellung des Textes des neuen Jahres mit uns zusammenarbeiten. Ein Lieblingssujet, ein Lieblingsthema des Schriftstellers Gott ist uns aus seinen bisherigen Veröffentlichungen bekannt: Er liebt das Zusammenkommen, die Versammlung der Seinen. Er möchte ein Volk haben! Wir dürfen Volk Gottes sein. Er will dabei mit seinen Lesern zusammenarbeiten. In der Sprache, in der die Heilige Schrift sich ausdrückt, heißt das, er schenkt uns dazu seine Gnade. Zeit ist »Gnade«, ist Geschenk.
Und noch etwas wünscht sich der »Schriftsteller« Gott: dass die Leser und Leserinnen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen seiner Werke das Miteinander suchen. Im Miteinander versteht man besser, was Gott sagen möchte. Ich wünsche uns, dass der ‚Schriftseller‘ Gott, der unter dem Pseudonym Zeit im Sinne von »Kairós« veröffentlicht, mit uns zusammen ein gutes Jahr schreiben kann. Ich wünsche uns eine gott-signierte Zeit!
Eine gott-signierte Zeit
Wie signiert, wie unterschreibt Gott? - Die Liturgie stellt das neue Jahr unter einen Namen: unter den Namen »Jesus«. „Man gab ihm den Namen Jesus, den der Engel genannt hatte, noch ehe das Kind im Schoß seiner Mutter empfangen wurde“ (Lk 2,21).
Der Name »Jesus« kommt vom »Engel«, ist also Botschaft, Mitteilung Gottes! Der Name besagt: Gott rettet. Durch Jesus handelt Gott. Das Handeln Gottes ist: retten! Wenn Jesus handelt, handelt Gott. Alles an Jesus ist rettendes Handeln Gottes.
Was immer im neuen Jahr auf uns zukommen wird, was wir schon voraussehen können und was wir noch gar nicht ahnen: Wir dürfen darauf vertrauen, dass »Christ, der Retter« darin »da« ist!
Gott hat sich durch Jesus, seinem Wort, unwiderruflich auf die Menschheit eingelassen. Gott unterschreibt, was er in diesem Jahr zusammen mit uns tun wird, im Namen Jesu, des Retters, des Erlösers. An uns liegt es, dass auch wir, was wir tun, im Namen Jesu tun. Wir signieren mit. Ich wünsche uns gute Zusammenarbeit untereinander und mit dem, der uns das Neue Jahr als Arbeitsprojekt anbietet!