Sich von Maria anregen lassen
Heute, am ersten Tag des neuen Jahres, werden wir eingeladen, unseren Blick auf Maria zu lenken. Gottesmutter zu sein, war das Geschenk Gottes an sie. Kann Gott dieses Geschenk nur einmal vergeben, so hat er dennoch für jeden von uns eine wichtige, uns auszeichnende Aufgabe, die er uns anvertrauen möchte. Wir können davon ausgehen, dass Gott uns nicht überfordert, allerdings auch nicht für Harmlosigkeiten einsetzen will. Daher gilt es, uns nicht nur unserer Aufgabe, sondern auch ihrer Bedeutung bewusst zu werden und angemessen zu reagieren. Mariens Reaktionen und Antworten auf Gottes Auftrag sind so einmalig, dass sie ein Vorbild für die Christen aller Zeiten darstellen. Uns von Maria anregen lassen, ihrem Beispiel zu folgen, ist ein wunderbarer Schritt ins neue Jahr; uns ihrer Fürsprache im Laufe des Jahres immer neu anzuvertrauen, eine große Hilfe.
Die Hirten, so wird uns im Evangelium berichtet, machen sich nach der Verkündigung der himmlischen Botschaft durch die Engel an sie auf den Weg, um den Messias zu suchen. Und sie finden ihn. Voller Freude berichten sie, was ihnen über das Kind gesagt wurde. Großes Staunen erfasst alle, die davon hören.
Staunen und sich aufmachen
Zwei Begriffe sind hier im Text genannt, die wir nicht überhören sollen: "staunen" und "sich aufmachen". Das Staunen gehört zum Glauben. Über Gott staunen und immer wieder staunen, bringt uns in seine Nähe. Staunen lässt uns in der Tiefe erahnen und ein wenig begreifen, wie Gott sich uns gegenüber verhält, wie er oft so ganz anders handelt, als wir Menschen es tun würden. Staunen und nochmals Staunen über Gott lässt uns ihn lieb gewinnen, über ihn nachdenken, ihm Hochachtung und Ehrerbietung entgegenbringen, voller Glück ihm Vertrauen schenken.
Was mit den Menschen geschah, von denen es heißt, dass sie über die Worte der Hirten staunten, wird uns nicht weiter berichtet. Die Hirten jedenfalls tun, was als zweiter Schritt zum Staunen hinzukommen muss, damit es für den Glauben fruchtbar wird: Sie machen sich auf, um den Verkündeten zu suchen und ihm zu begegnen. Im beglückten Staunen brechen sie auf. Sie, die kleinen Hirten, sind dem Himmel eine Botschaft wert. Welch eine Auszeichnung!
Hirten waren einmal im Volk Israel besonders angesehen. Abraham, Mose, David, sie alle waren einfache Hirten gewesen. Jahwe gab man den Beinamen "Hirte Israels". Zur Zeit Jesu hatten die Hirten jedoch alles Ansehen verloren. Sie zählten zu den Randgruppen, zum Pöbel und Lumpenpack. Mag ihr Ansehen auch gering gewesen sein, ihr unguter Ruf zu einem Teil berechtigt, so haben sie sich dennoch eine Tugend ihrer Vorfahren erhalten: sie lassen sich wie Abraham, Mose, Jakob, David durch die Verheißung des Himmels bewegen. Wie die Urväter öffnen sie der Verheißung ihr Herz, brechen wie sie einst auf und erleben, dass wahr ist, was ihnen verkündet wurde.
Sich von Gott bewegen lassen
Auch wenn von Maria ihr Staunen im heutigen Evangelium nicht eigens erwähnt wird, so gehört sie dennoch mit zu denen, die voller Staunen über Gott sind und sich von ihm bewegen lassen. Staunen erfasst sie bei der Verkündigung des Engels, Mutter des Erlösers zu werden. Staunend vernimmt sie die Prophezeiung des greisen Simeon im Tempel "Dieser Knabe ist dazu bestimmt, viele aufzurichten und ein Licht zu sein, das erleuchtet". Nur im Staunen kann sie die Antwort ihres Zwölfjährigen ohne Bitterkeit ertragen: "Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meines Vaters ist?"
Dem Staunen fügt Maria eine dritte für den Glauben wichtige Komponente hinzu. Im Text heißt es: "Maria aber bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach". Dieses staunende Nachdenken über das, was uns widerfährt, sollen wir von Maria übernehmen und im neuen Jahr aufmerksam praktizieren. Vieles im Leben der Gottesmutter war Alltag wie bei allen anderen Menschen. Sie sorgt sich um die Familie und ihr Kind, freut sich über dessen erste Schritte und Laute, ist beglückt über das erste "Mama" und "Papa". Aber neben dem Gewöhnlichen im Alltag findet sich auch immer wieder das Erschreckende: die Flucht nach Ägypten, die Vertreibung Jesu aus der Synagoge in der Heimatstadt Nazareth, die wiederholte Ablehnung ihres Sohnes mit seiner Botschaft und Freundschaft zu Ausgestoßenen, das Fallenstellen für ihn, Gerichtsverfahren und Kreuzigung.
Weil Maria ihr Leben immer wieder als Ganzes bedenkt, wird sie an Gott nicht irre. Sie erahnt, dass Geheimnisvolles geschieht, auch wenn dies zunächst nicht zu erkennen ist und für das Ende die Auferstehung nötig ist, damit sie beglückt neu erlebt: Es ist alles eingetroffen, was ihr vom Himmel als Verheißung verkündet wurde.
"Gott hilft"
Niemand von uns weiß, was ihm das neue Jahr bringen wird. Wir sind eingeladen, das Kommende aus Gottes Hand entgegenzunehmen mit jenem Vertrauen in Gott, das Maria beseelte. Wo wir wach und aufmerksam sind, werden wir wie sie über vieles staunen, was uns widerfährt. Halten wir oft inne, um es zu bedenken. Das Schöne und das Schwierige, beides gehört in unser Leben. Beides will uns einladen aufzubrechen, um Gott zu begegnen und sein Heilshandeln zu erfahren. Nicht unbedacht schließt das heutige Evangelium mit dem Satz: Bei der Beschneidung gab man dem Kind den Namen "Jesus", wie der Engel es verkündet hatte. Jesus bedeutet "Gott hilft". Wie sehr dies wahr ist, sollen wir oft staunend bedenken: im neuen Jahr, in unserem ganzen Leben.
Lopez Weißmann (2001)
Bernhard Zahrl (1999)