Am Beginn des Neuen Jahres soll uns mit dem Evangelium der Bericht von den Hirten an der Krippe nicht erneut erzählt werden, auch wenn man die Weihnachtsbotschaft gut öfter hören kann. Das Anliegen ist mit Sicherheit ein anderes. Denn Lukas ist kein Geschichtenerzähler, sondern Seelsorger. Darum ist zu fragen: Welches Anliegen möchte er an uns herantragen?
Staunen über das Wirken Gottes
Wir erfahren, dass die Hiten darüber staunen, wie wahr die Botschaft ist, die vom Himmel an sie erging. Alles trägt sich so zu, wie es ihnen durch den Engel gesagt wurde. Ich glaube, wir können die Verwunderung der Hirten nachvollziehen. So unglaublich die Botschaft an sie klang, diesmal ist hundertprozentig wahr, was sie vernommen haben. Mit ihren eigenen Augen können sie sich davon überzeugen. Sie müssen es nicht nur glauben. Dies lässt sie dankbar Gott preisen, zumal sie begreifen, wie sehr sich Gott ihrer angenommen hat, sie - die sonst bei den Menschen im Ruf stehen, Lumpenpack und Gesindel zu sein, das es zu meiden gilt.
Aber nicht nur die Hirten staunen. Auch Maria wird aufgehorcht haben. Erneut darf sie erleben, wie sehr Gott am Werk ist. Von ihr wird nicht berichtet, dass sie verwundert ist. Nach dem, was sie selbst erlebt hat, wundert sie, was Gott betrifft, wohl überhaupt nichts mehr. Doch was sie da neu durch die Hirten hört und erlebt, berührt ihr Herz erneut zutiefst. Maria ist zwar nicht total überrascht und völlig verblüfft, aber aufmerksam auf das, was durch Gott auch an anderen Menschen geschieht. Das Wirken Gottes, das sie außer an sich selbst auch an anderen erleben darf, lässt Maria nicht leichtfertig unbeachtet, sondern sie fügt es ehrfürchtig dem hinzu, was sie im Inneren durch ihre Erfahrungen mit Gott bereits in der Tiefe ihres Herzens aufbewahrt. Oft wird sie zukünftig an all das Geschehene denken, es bedenken und ihr Leben danach ausrichten.
Gottes Tun bedenken.
Ein Jahreswechsel eignet sich gut zur Besinnung und für eine Reflexion. Wie bei Maria so hat Gott ja auch an uns im letzten Jahr oder in unserem Leben in unterschiedlicher Weise huldvoll gehandelt. Ich bin sicher, dass wir mit dem Evangelium eingeladen werden, Rückblick zu halten, um - wie Maria es tat - Gottes huldreiches Handeln an uns zu betrachten.
So bietet sich als Erstes die Frage an: Wo durfte ich im letzten Jahr oder in meinem Leben sichtbar der Gnade oder Hilfe Gottes begegnen? Wo konnte ich erfahren, dass die Verheißung wahr ist, dass ich von Gott geliebt, getragen und in ihm geborgen bin?
Von Maria wird gesagt, dass sie die Erfahrungen mit Gott in ihrem Herzen bewahrte, und zwar die eigenen als auch jene, die sie bei anderen miterleben konnte.
Wir können davon ausgehen, dass Maria bei aller Erwählung und Gnade nicht nur sicher und ohne Ängste in die Zukunft blickte. Es gab genügend Sorgen, die sie bedrängten: Allein schon die äußere Armut stellte ihr kein rosiges Leben in Aussicht. Und was würde Wohl noch alles mit ihrem Kind auf sie zukommen? Fragen über Fragen werden sich in ihr aufgetan haben. Zuflucht nimmt Maria in diesen Situationen der Ungewissheit zu ihrem Herzen, in dem sie die schönen Erfahrungen mit Gott gesammelt hat. Sie schenken ihr Vertrauen und Kraft.
Rückbesinnung auf die guten Erfahrungen mit Gott
Im Blick auf das neue Jahr wäre das Verhalten Mariens sicher auch ein Weg für uns. Fragen, Unsicherheiten, Ängste werden neben Hoffnung und Zuversicht auch uns in das neue Jahr begleitet haben und im Laufe des Jahres neu auftauchen. Ich bin sicher, dass eine Rückbesinnung auf die guten Erfahrungen mit Gott auch uns - wie Maria - Kraft verleihen wird, Ängste mindert, unsere Hoffnungen stärkt. Im Rückblick auf Gottes Wirken an uns und anderen werden wir fähiger, Leben nicht zu erleiden, sondern aktiv Impulse zu setzen, die unserem Leben Prägung und Format geben.
In die Besinnung und in ein Nachdenken zu Beginn eines Jahres gehört, wenn wir auf Maria schauen, auch die Frage: Lebe ich verantwortlich und auf Gott hinhörend? Spüre ich, wo Gott mich anfragt für bestimmte Aufgaben als Helfer, Beistand, Tröster, Ratgeber, Wegweiser? Erlebe ich Gott als einen, der mich fördert, indem er mich fordert? Oder bin ich darüber ständig unzufrieden?
In jedem Jahr unseres Lebens gibt es das Wiederkehrende: z.B. Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter. Bei aller Wiederkehr, so können wir schon an der Natur erkennen, liegt im Kreislauf auch ein Wandel. Kein Frühling, kein Sommer, kein Herbst oder Winter gleicht vollkommen den vorhergehenden. Erneuerung und Vielfalt zeichnen das Wiederkehrende in der Natur aus.
Alltag und Feste
Diese Beobachtung lässt sich auf uns übertragen. Es gibt das alltäglich Wiederkehrende und das festliche. Nennen möchte ich z.B. den Tag der Eheschließung oder für einen Priester den Weihetag. Beide eignen sich in besonderer Weise zur Besinnung. Ist mein Ja von damals noch in vollem Umfang lebendig? Bin ich an den Herausforderungen, die mein Ja mit sich brachte, gewachsen? Welche Rolle hat Gott dabei gespielt? In welchen Situationen konnte ich spüren und erleben, dass er der Dritte in unserem Bunde war. Wo hat Gott mich als Priester gehalten, getragen, geführt? Weil alles Wiederkehrende nicht gleich bleiben muss, sondern neu erblühen und sich verändern darf, darum gilt es, in das Ja von einst tiefer hinein zu wachsen, es mit Varianten und Vielfalt zu krönen. Gerade die guten Erfahrungen mit Gott können uns das Ja noch einmal neu und tiefer sprechen lassen. Dann bekommt unser Leben Dynamik, Farbe, ein schönes Gesicht und Geschmack.
Mit jedem Jahr, in das wir hineintreten, wird unsere Lebenszeit enger. Die Frage "Was lohnt sich?" drängt sich immer deutlicher in den Vordergrund. Im Rückblick auf Gott und die Erfahrungen mit ihm kann es geschehen, dass manches, um das wir sehr gerungen und gekämpft haben, im Nachhinein an Wichtigkeit und Wert verliert. Die große Chance und der enorme Gewinn jeder Besinnung auf Gott liegt darin: Ich kann mich umorientieren. Gott gibt solide Maßstäbe und Ziele vor. Ich muss sie nicht erst mühselig erarbeiten und suchen. Und wo wir uns auf Gott ausrichten, werden wir immer wieder seine Gnade und seinen Beistand erfahren. Erfahren: Gott ist ein Gott mit uns. Es wird uns gehen wie den Hirten, die Gott rühmen und preisen, weil sie an sich erfuhren, wie richtig es ist, der Botschaft Gottes zu vertrauen und zu folgen.
Gott ist mit uns
Wir begehen heute den ersten Tag des Jahres. Die Kirche hat diesen Tag zum Hochfest der Gottesmutter erhoben. Maria soll uns als Vorbild vor Augen gestellt werden. Nicht nur sie ist begnadet, auch wir sind Begnadete durch Gott. Dies wird uns umso bewusster und deutlicher, wenn wir Maria nachahmen, die das Wirken Gottes an sich und anderen in ihrem Herzen bewahrte, um oft darüber nachzudenken.
Wir können in das neue Jahr mit Vertrauen treten. Denn Gottes Zusage seiner Liebe, Huld, Barmherzigkeit und Hilfe wird sich auch in diesem Jahr als wahr an uns erweisen. Darüber dürfen wir schon heute jubeln und uns freuen.
Lopez Weißmann (2001)
Bernhard Zahrl (1999)