Lesung aus dem Hebräerbrief:
Vielfältig und auf vielerlei Weise
hat Gott einst zu den Vätern gesprochen durch die Propheten;
am Ende dieser Tage
hat er zu uns gesprochen durch den Sohn,
den er zum Erben von allem eingesetzt,
durch den er auch die Welt erschaffen hat;
er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit
und das Abbild seines Wesens;
er trägt das All durch sein machtvolles Wort,
hat die Reinigung von den Sünden bewirkt
und sich dann zur Rechten der Majestät in der Höhe gesetzt;
er ist umso viel erhabener geworden als die Engel,
wie der Name, den er geerbt hat, ihren Namen überragt.
Denn zu welchem Engel hat er jemals gesagt:
Mein Sohn bist du,
ich habe dich heute gezeugt,
und weiter:
Ich will für ihn Vater sein
und er wird für mich Sohn sein?
Wenn er aber den Erstgeborenen wieder in die Welt einführt,
sagt er:
Alle Engel Gottes sollen sich vor ihm niederwerfen.
Der Hebräerbrief – ein Brief? – umreißt am Anfang ohne Umschweife die Weite des Christuszeugnisses, das dann allerdings sehr spezifisch entfaltet wird. Auf dichtem Raum stehen drei Gegenüberstellungen: Den Vorzeiten werden diese "letzten Tage" gegenübergestellt, der propehtischen Rede "vielfach und auf vielerlei Weise" die eine Rede durch den Sohn - und den Engeln der "so viel höher" Gewordene. Der Name Jesus wird nicht genannt – und der Hebräerbrief setzt voraus, dass alle wissen, von wem die Rede ist. Der Sohn wird als "Abglanz" der Herrlichkeit Gottes, als "Abbild" seines Wesen vorgestellt. Was das heisst, wird in einem Satz zusammengebunden: er trägt alle Dinge mit seinem kräftigen Wort, der hat die Reinigung von den Sünden vollbracht und er hat sich zur Rechten Gottes gesetzt. Verbindender Gedanke ist, dass er von Gott zum Erben "über alles" gesetzt wurde und einen Namen ererbt hat, der höher ist als der Name eines Engels. Als der Hebräerbrief geschrieben wurde, gab es noch kein Weihnachtsfest, keine Weihnachtsstimmungen und keine Weihnachtsbräuche. Dass Hebr 1,1-6 heute aber zu Weihnachten gehört, ist gleichwohl eine glückliche Erfahrung. Sehr nüchtern wird in wenigen Strichen nachgezeichnet, was Weihnachten bedeutet. Dabei fällt auf, dass das Schema "einst" und "jetzt" unsere eigene Gegenwart einholt und bestimmt. Sind wir auch auf der – Höhe? Klaus Hemmerle hat diese Höhe so zu beschreiben versucht: Der zur Weihnacht geboren wurde, hat nicht auf Probe mit uns gelebt, ist nicht auf Probe für uns gestorben, hat nicht auf Probe geliebt. Er ist das Ja und sagt das Ja, ein ganz unwiderrufliches göttliches Ja zu uns, zur Menschheit, zur Welt. Dieses Ja kann uns tragen, kann uns heraus reißen aus Vorläufigkeiten, Unsicherheiten, Halbheiten, Vergeblichkeiten. Er will uns begleiten und so befähigen, selber Ja zu sein, nicht auf Probe, nicht nur zur Hälfte, nicht nur "ja aber". Mögen wir sein Ja erfahren in uns, über uns, um uns, uns mögen andere es erfahren durch uns.
Der Hebräerbrief ist eine geschriebene Predigt oder fast ein theologischer Traktat und beginnt deshalb auch nicht wie die anderen Briefe mit einer Briefeinleitung, sondern stellt seinen theologischen Grundgedanken an den Anfang: Gottes Offenbarung in seinem Sohn ist einzigartig und nicht vergleichbar mit früheren Offenbarungen. So wie diese zentrale christologische Aussage am Anfang steht und die Leser bzw. Hörer in die Gegenwart des Heilshandeln Gottes holt und sie in einem weiteren Schritt zum Mit-handeln einlädt, versucht der Hebräerbrief auch mit Hilfe traditioneller Formen jüdischer Schriftauslegung Hilfen auf dem Weg des neuen Gottesvolkes zu geben. Auf die christologischen Abschnitte folgen jeweils aufmunternde, ermahnende Abschnitte, die die Leser und Hörer auf ihrer Wanderschaft zum eschatologischen, endzeitlichen Ziel, der himmlischen Stadt begleiten und stärken sollen. In sorgfältig ausgearbeitetem Griechisch versucht der Autor die unbegreifliche Größe des Handelns Gottes zu beschreiben: Gott spricht zu den Menschen, nicht durch Engel oder Menschen, sondern "durch den Sohn", der ihm selbst an Macht und Herrlichkeit gleich ist. Das Bild für die Befreiungstat Gottes, das der Hebräerbrief hier verwendet ist die Katharsis, die Reinigung. Der ganze Brief ist geprägt von einer Sprache, die dem christlichen Verständnis relativ fremd ist: Er versucht das Heilsgeschehen in der jüdischen Kult- und Opfersprache auszudrücken und damit zu zeigen, daß in Jesus Christus Gott alles, was er bisher getan hat, in den Schatten stellt. Daß es sehr mißverständlich ist, diesen Brief ohne das notwendige Wissen über die kultischen Riten und die liturgische Sprache der Juden zu lesen, zeigen die Ansichten über eine Opfer- und Bluttheologie, Reinigungsriten, kultische Vorschriften, die das christliche Gottesdienstfeiern hartnäckig vereinnahmen wollen.
Die neutestamentliche Lesung ist dem Hebräerbrief entnommen. Dieser Brief richtet sich an Christen, die der jüdischen Tredition und vor allem dem jüdischen Tempelkult sehr verbunden sind, und möchte ihnen eine theologische Deutung der Ereignisse um Jesus Christus geben. Gott spricht durch seinen Sohn den er in die Welt gesandt hat. Nach vielen Propheten die sich zum Sprachrohr Gottes gemacht haben, erreicht uns jetzt das machtvolle Wort des Sohnes Gottes- Jesus. Durch Jesus ist Gott selbst, sein Wesen, für uns Menschen verständlicher geworden. Jesus ist das Angebot des Heils für alle.
Manfred Wussow (2005)
Regina Wagner (1998)
Claudia Tolle (1997)