Lesung aus dem Hebräerbrief:
Schwestern und Brüder!
Ihr habt im Kampf gegen die Sünde
noch nicht bis aufs Blut Widerstand geleistet
Und ihr habt die Mahnung vergessen,
die euch als Söhne anredet:
Mein Sohn, verachte nicht die Zucht des Herrn
und verzage nicht, wenn er dich zurechtweist!
Denn wen der Herr liebt, den züchtigt er;
er schlägt mit der Rute jeden Sohn, den er gern hat.
Haltet aus, wenn ihr gezüchtigt werdet!
Gott behandelt euch wie Söhne.
Denn wo ist ein Sohn, den sein Vater nicht züchtigt?
Jede Züchtigung
scheint zwar für den Augenblick nicht Freude zu bringen,
sondern Leid;
später aber
gewährt sie denen, die durch sie geschult worden sind,
Gerechtigkeit als Frucht des Friedens.
Darum macht die erschlafften Hände
und die wankenden Knie wieder stark,
schafft ebene Wege für eure Füße,
damit die lahmen Glieder nicht ausgerenkt,
sondern vielmehr geheilt werden!
Trachtet nach Frieden mit allen und nach der Heiligung,
ohne die keiner den Herrn sehen wird!
Seht zu, dass niemand von der Gnade Gottes abkomme,
damit keine bittere Wurzel aufsprosst,
Schaden stiftet und viele durch sie verunreinigt werden,
Die Lesung aus dem Hebräerbrief, der eigentlich überhaupt kein Brief ist, sondern eine breit angelegte Einführung in die Jesus-Geschichte für Menschen, die die jüdische Überlieferung gut kennen, bindet hier zwei Überlieferungen zusammen: aus der Weisheit Israels ("Sprüche") das Erziehungsideal - und aus der prophetischen Überlieferung die Gewissheit, dass Menschen wieder aufgerichtet werden (vgl. Jes 35,3). Als Ziel sieht der Hebräerbrief: Frieden und Gerechtigkeit. Unschwer ist zu erkennen, dass der unbekannte Verfasser den starken Menschen vor Augen hat, der - an Widerständen gereift - den Weg eines "Sohnes" zu gehen vermag. Und: Wir dürfen auch die "Tochter" im selben Atemzug nennen. Dass wir das aus der Spruchweisheit der hebräischen Bibel kommende Bild von der Züchtigung nicht mehr nachvollziehen können, gleichwohl im Hinterkopf haben, an Leiden reifen zu können, macht uns den Zugang zu dieser Lesung nicht leicht. Wichtig ist, in diesem Abschnitt die Zusage zu hören, Kinder Gottes zu sein. Die Aufforderung, erschlaffte Hände wieder stark und wankende Knie wieder festzumachen, kommt aus der Liebe und wird von ihr getragen. Es wird sehr darauf ankommen, den Hebräerbrief auch als Liebesbrief zu verstehen. Das Bild von der "Schule", das der Hebräerbrief aufgreift, ist als Lebensschule zu verstehen, in der wir das Leben lernen, die eigene Identität und gehbare Wege finden. Zwar hat der Hebräerbrief die Hände, Knie und Füße der Christen in seiner Gemeinde im Blick, nimmt aber die anderen Menschen darin auf.
Dass Erziehung etwas mit "Zucht" und "Züchtigung" zu tun hat, war durch die Jahrhunderte hindurch europäisches Allgemeingut. Das fing im Elternhaus an, wo geprügelt wurde, setzte sich in der Schule fort, wo "leichte Schläge auf den Hinterkopf" das Denkvermögen erhöhen sollten, und fand seine Fortsetzung im sogenannten "Zuchthaus", das als letzte Instanz (wenn alles vorhergehende Schlagen nichts genutzt hatte) noch einmal den Versuch startete, Verbrecher wieder in gute und "züchtige" Staatsbürger zu verwandeln. Von der "Zucht des Herrn" spricht der Hebräerbrief, und er setzt sich damit dem Verdacht aus, die antiautoritären Erziehungsvorstellungen seit den 1960er Jahren zu untergraben. Mittlerweile zeigt sich auch erziehungswissenschaftlich, dass weder das eine Extrem (Erziehung durch Zucht) noch das andere Extrem (Weglassen aller erzieherischen Maßnahmen) pädagogische Erfolge verspricht. Auch die Lesung spricht nicht nur von der (für die antike Vorstellung selbstverständlichen) Methode mit dem Rohrstock, sondern auch vom eigentlich Lernziel: Frieden und Gerechtigkeit. Entscheidend ist, dass die Verbindung zwischen Gott und den Menschen durch den Mittler Jesus Christus ein für allemal sicher geschlossen wurde (vgl. Hebr 7,26 f. und 9,11 f.). Sich an ihm zu orientieren und in seine Schule zu gehen, hilft jedem Menschen, das eigene Leben immer mehr von Christus her verwandeln und auch heilen zu lassen. Sich an Jesus zu orientieren bedeutet aber auch die Bereitschaft, den guten Wettkampf zu kämpfen und den Siegespreis davonzutragen (vgl. 1 Kor 9,24). Das beste Training für die Sache des Herrn besteht darin, sich von ihm die nötige Kraft schenken zu lassen, die die erschlafften Hände oder die wankenden Knie wieder fest und funktionstüchtig macht. Armin Hoppe
Im 3. Teil des Hebräerbriefs (10,32 - 13,25) geht es um das Standhalten in Prüfungen und Verfolgungen. Nachdem in 11,1 - 12,3 Vorbilder für den Glauben vorgestellt wurden (Abel, Henoch ... bis hin zu Jesus), wird in 12,4-11 die göttliche Erziehungsweisheit dargelegt und eine Begründung für mögliche Züchtigungen und Drangsal gegeben. Probleme könnten die Verse mit der Züchtigung des Sohnes durch die Rute bringen - sie passen nicht mehr zu heutigen Erziehungskonzepten. Daher sollten unbedingt auch die Verse 4 (- wo erklärt wird, um welchen Kampf es geht: nämlich um jenen gegen die Sünde) und 8-10 (siehe ungekürzte Fassung) gelesen werden, die Gott als den eigentlichen Erzieher hervorheben. Verstehen kann man 12,4-11 vor dem Hintergrund von 12,1-3 (vgl. 20. Sonntag im Jahreskreis): Jesus hat das Kreuz und die Schmach erduldet, damit wir in der Bedrängnis und im Kampf gegen die Sünde nicht ermatten. Der Sinn der Stelle ist nicht eine Verherrlichung von Drangsal, sondern eine realistische Sicht des Christseins: Es bedeutet nicht einen Schutz vor Leid, sondern Kraft im Leid. Die Verse 12-13 sind aus dem Abschnitt 12-17 entnommen, die einladen zur Mitverantwortung am seelsorglichen Wirken: Alle Gläubigen haben Verantwortung für die geistliche Gesundheit der Gemeinschaft.
Manfred Wussow (2004)
GastautorIn (2001)
Johann Pock (1998)